Liebe Schulgemeinschaft,

am Mittwoch begehen wir Deutschen, wir Europäer und viele Millionen Menschen weltweit den internationalen Holocaust Gedenktag. Wir erinnern an diesem Tag der über 6 Millionen Ermordeten Juden, Sinti und Roma, den geistig Erkrankten und vielen Anderen, die durch das 3. Reich als „lebensunwert“ stigmatisiert wurden.

Wir als Schulgemeinschaft erinnern uns dessen nicht nur, weil wir es im Unterricht besprochen und gelernt haben, Projekte in Auschwitz durchgeführt habe, sondern auch weil unsere Schule zwei Gedenkfeiern der Stadt Osnabrück anlässlich der Pogromnacht eindrucksvoll gestaltet hat, zuletzt durch unsere Projekttage im Herbst 2019.

Ein Teil der Schulgemeinschaft hat wiederholt am Projekt „Zweitzeugen“ teilgenommen und hatte indirekten Kontakt mit Holocaust Überlebenden, unter anderem mit Erna de Vries.

Vor 25 Jahren hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog diesen Tag zum Holocaust-Gedenktag erklärt; im gleichen Jahr wurde er zum ersten Mal begangen.

Er erinnert an den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee im Jahr 1945. Warum ist dieser Gedenktag notwendig? Gibt es nicht schon genügend Gedenktage?

Es gibt eine ganz einfache, eine ganz kleine Antwort auf diese Frage: Der Holocaust-Gedenktag ist schon deshalb notwendig, weil sonst im Bundestag keine so berührenden Reden gehalten würden – Reden wie die der Auschwitz-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch im Jahr 2018 oder Jahre davor die Rede von Zoni Weisz, der über das Leid der Sinti und Roma sprach.

In diesem Jahr werden Charlotte Knobloch und Marina Weisband reden. Knobloch ist die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Weisband kam 1994 im Alter von sieben Jahren als Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland; die frühere Piraten-Politikerin spricht als Vertreterin der dritten Generation nach der Shoa.

Sechs Millionen ist eine unvorstellbare Zahl.
Der Weg zum Grundgesetz, der Weg zu den Grundrechten führt durch Abgründe, er führt durch die Hölle. Am Wegrand stehen Gestapo, die SS und der Volksgerichtshof, am Wegrand stehen Zwangsarbeiter und Herrenmenschen, am Wegrand liegen sechs Millionen Menschen, von den Nazis erschlagene, erschossene, vergaste, zerprügelte, gefolterte und zermarterte Menschen.

„Sechs Millionen ist eine unvorstellbare Zahl“: So begann Anita Lasker-Wallfisch vor drei Jahren ihre Rede zum Holocaust-Gedenktag im Deutschen Bundestag. Lasker-Wallfisch hat einst Auschwitz als Cellistin im Mädchen-Orchester des Lagers überlebt. Sie hat Bergen-Belsen überlebt. Sie war damals 19 Jahre alt. Weil sechs Millionen ermordete Leben unvorstellbar sind, erzählte sie im Bundestag aus ihrem Leben: „In diesem Land geboren, also deutsch. Unser Vater war Rechtsanwalt und Notar am Oberlandesgericht, unsere Mutter eine wunderbare Geigerin. Wir waren drei Töchter und lernten alle ein Instrument spielen, ich mit Begeisterung Cello…

Plötzlich war alles zu Ende. Radikale Ausgrenzung – ‚Juden unerwünscht‘ war überall zu lesen. Wir mussten unsere Wohnung räumen und zurück ins Mittelalter. Wir mussten den gelben Stern auf unserer Kleidung tragen. Auf der Straße wurde ich angespuckt und ‚dreckiger Jude‘ genannt.

Unser Vater – unverbesserlicher Optimist – konnte es nicht glauben. Die Deutschen konnten doch diesen Wahnsinn nicht mitmachen.“ Sie haben diesen Wahnsinn mitgemacht; daran erinnert der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar.

Der Holocaust-Gedenktag

Zoni Weisz hat am Holocaust-Gedenktag 2011 über das Leid der Sinti und Roma geredet; er hat vom „vergessenen Holocaust“ geredet und von seiner Mutter, seinen zwei Schwestern und seinem Bruder, die in Auschwitz vergast worden sind.
Er erzählte, wie er selbst das Grauen überlebt hat; und dann schilderte er den erbärmlichen Alltag der Sinti und Roma in Ungarn, Rumänien und Bulgarien, in der Slowakei und vielen anderen Ländern Europas. An einem der ersten Holocaust-Gedenktage, an dem Gedenktag im Jahr 1997, hat Klaus von Dohnanyi über die Gegenwart der Vergangenheit nachgedacht und darüber, wie man so viele Jahrzehnte später gedenken, erinnern, verstehen und lernen kann.

Der frühere Hamburger Bürgermeister und Sohn eines ermordeten Widerstandskämpfers hat das in schlichten Worten getan und mit praktischen Vorschlägen: „Jede Schule, die sich auch nur ein Opferschicksal aus jenen Tagen wirklich zu eigen macht, Stadtteile und Dörfer, die auch nur einem der gemarterten Namenlosen wieder Namen und ein menschliches Gesicht geben, können mehr tun, uns Gedächtnis und Gedenken zu bewahren, als manche Stunde trockenen Geschichtsunterrichts.“

Der Holocaust-Gedenktag erinnert an die Ausrottung der Menschlichkeit. Er erinnert daran, wie aus Humanität Nationalität wurde und aus Nationalität Bestialität.

Wir erinnern uns nicht nur, wir reagieren – indem wir wachsam sind – wachsam gegenüber dem Wichtigsten das wir besitzen: Unserer persönliche Freiheit. Diese Freiheit garantiert uns allen das Grundgesetz mit der Verpflichtung für uns, es zu schützen und dafür einzutreten.
Freiheit beginnt mit dir – Demokratie beginnt mit dir.

Felix Trentmann

(zum Teil entnommen: https://www.sueddeutsche.de/thema/Prantls_Blick)