„Stark, dass Margot weitergemacht hat und noch Lebensmut hatte!“
Schüler*innen der Klassen 6 werden zu Zweitzeuginnen
Am 29. und 30. Oktober fanden in den sechsten Klassen der Thomas-Morus-Schule vier Workshops mit der Zweitzeugin Rebecca Reusch vom Verein ZWEITZEUGEN e. V. statt.
Was sind „Zweitzeug*innen“?
Der Holocaust-Überlebende Elie Wiesel sagte einst:
„Jeder, der heute einem Zeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge werden.“
Genau daran knüpft der Verein ZWEITZEUGEN e. V. an. Er dokumentiert (Über-) Lebensgeschichten von Holocaust-Überlebenden, damit sie von nachfolgenden Generationen als Zweitzeug*innen weitererzählt werden können. So entsteht ein persönlicher Zugang zu einem historischen Thema, das oft abstrakt bleibt. Kinder und Jugendliche werden ermutigt, selbst aktiv zu werden – gegen Antisemitismus und für Menschlichkeit, Demokratie und Vielfalt.
Dies gelang in den Workshops an der TMS besonders gut, weil Rebecca Reusch gemeinsam mit unseren Schüler*innen eine Verbindung zu ihren eigenen Lebenswelten herstellte. Nach einer kurzen, altersgerechten Einführung in die Zeit des Nationalsozialismus erstellten Rebecca und die Schüler*innen gemeinsam Stichpunkte zu ihrem typischen Tagesablauf: vom Aufstehen über Schule, Mahlzeiten, Freizeit und Hobbys bis zum Schlafengehen. Anschließend durfte sich jede*r eine am Boden liegende Karte nehmen. Auf diesen Karten standen die Verbote, die Jüdinnen und Juden zwischen 1933 und 1945 zu befolgen hatten – etwa, dass sie kein Fahrrad mehr besitzen, keine Schule mehr besuchen oder kein Haustier mehr halten durften.
Das Leben wurde immer weiter eingeschränkt und kriminalisiert. Jedes vorgelesene Verbot wurde mit dem heutigen Tagesablauf verglichen, und jedes betroffene Stichwort an der Tafel „ausgewischt“. Schritt für Schritt verschwand der zuvor notierte Alltag von der Tafel: kein Fahrrad mehr, kein Schulbesuch, kein Haustier, kein Sport – nichts blieb übrig.
Am Ende, so Rebecca, hatten jüdische Bürger*innen rund 2000 Gesetze zu befolgen. Es war kaum möglich, im täglichen Leben nicht dagegen zu verstoßen – und damit war auch ein normales Leben unmöglich geworden. Für die Schüler*innen war das eindrücklich sichtbar.
Hannes aus der 6a brachte es auf den Punkt:
„Es war interessant und gleichzeitig erschütternd zu hören, wie es damals war – dass es 2000 Gesetze gegen Juden gab.“
Im dritten Teil des Workshops lernte ein Teil unserer TMSler die Überlebensgeschichte von Margot Friedländer, der andere die von Dr. Leon Weintraub kennen.
Margot Friedländer
Margot Friedländer wurde 1921 in Berlin geboren. Nach glücklichen Kinderjahren erlebte sie als junge Frau Ausgrenzung, Flucht und Verlust. Ihre Mutter und ihr Bruder wurden 1943 nach Auschwitz deportiert, Margot tauchte unter, wurde jedoch 1944 verhaftet und ins KZ Theresienstadt gebracht. Nach der Befreiung wanderte sie mit ihrem Mann in die USA aus, kehrte später nach Berlin zurück und setzte sich bis zu ihrem Tod im Mai dieses Jahres unermüdlich für Erinnerung und Menschlichkeit ein.
„Es gibt kein jüdisches, kein muslimisches und kein christliches Blut“, sagte sie. „Es gibt nur menschliches Blut. Drum sei Mensch.“
Dr. Leon Weintraub
Leon Weintraub, geboren 1926 in Łódź (Polen), überlebte mehrere Konzentrationslager, darunter Auschwitz und Flossenbürg. Nach dem Krieg studierte er Medizin und arbeitete später als Arzt in Polen und Schweden, wo er bis heute lebt. Seine Botschaft an die Schüler*innen:
„Wir alle werden als Menschen geboren – und ich hoffe, dass ihr Menschen bleibt. Gebraucht eure Stimme für die Zukunft, für den Frieden und für die Demokratie.“
Unsere Schüler*innen waren von diesen Berichten tief beeindruckt.
Einige Stimmen aus den Workshops:
- Justus: „Cool, dass die Zweitzeug*innen die Geschichte so an uns weitergeben.“
- Emma: „Wahnsinn, dass Margot Friedländer so darüber sprechen konnte.“
- Melena: „Stark, dass Margot weitergemacht hat und noch Lebensmut hatte.“
- Jale: „Es war super, dass Margot sich so viel Zeit genommen hat, darüber zu sprechen.“
- Anna: „Ich fand es toll; ich habe etwas über das Judentum gelernt.“
- Felipa: „Mir hat es gut gefallen, weil ich viel Neues gehört habe und es interessant war.“
- Liah: „Ich fand die Zweitzeug*innen richtig toll, da ich jetzt mehr Leuten von der Geschichte erzählen kann und weil ich neue Sachen gelernt habe – z. B., dass Jüdinnen und Juden in der Nazizeit mehr als 2000 Gesetze zu befolgen hatten.“
- Maja: „Ich fand es gut, weil ich noch nicht wusste, dass Leute wie Leon das Konzentrationslager überstanden haben. Ich fand das spannend.“
Ein herzlicher Dank geht an Rebecca Reusch, die unsere Schüler*innen ermutigt hat, die Geschichten von Margot Friedländer und Leon Weintraub als Zweitzeug*innen weiterzutragen. Damit wird dem Ziel des Vereins ZWEITZEUGEN e. V., junge Menschen zu ermutigen, Verantwortung für Demokratie und Vielfalt zu übernehmen, in besonderer Weise Rechnung getragen.
Für uns als Thomas-Morus-Schule, die sich dem Gütesiegel „Zusammen gegen Antisemitismus“ verpflichtet fühlt, war dieser Workshop von großer Bedeutung.
Herzlichen Dank auch an die Evangelischen Stiftungen Osnabrück sowie die Schulstiftung im Bistum Osnabrück, deren finanzielle Unterstützung den Besuch von ZWEITZEUGEN e. V. ermöglicht hat.
Sigrid Mäscher







