Anastasiia Lepuha hat in der Ukraine Deutsch studiert, um irgendwann einmal in ihrem Land die Sprache zu unterrichten.
Der Krieg machte die Pläne zunichte. Jetzt arbeitet sie an der Thomas-Morus-Schule in Osnabrück.

An der Thomas-Morus-Schule in Osnabrück-Haste klingelt es zur großen Pause: Kinder und Teenager laufen auf den Schulhof.
Es sind verschiedene Sprachen zu hören: Deutsch, Englisch, etwas Türkisch und auch Ukrainisch.
Das hört sich für viele erst mal wie Russisch an und ist neu hier. Aber seit dem Angriffskrieg Russlands gibt es auch ukrainische Schüler hier.
Die sind mit ihren Eltern geflohen und versuchen jetzt, hier Fuß zu fassen. Ines Schüer unterrichtet an der Thomas-Morus-Schule Deutsch als Zweitsprache und sagt: „Mittlerweile ist das bei uns normal geworden.
Dass ukrainische Schüler zu uns gekommen sind, hat viele Schüler, die vielleicht Angst vor dem Krieg hatten, sogar beruhigt.
So haben sie gesehen, dass sie etwas tun können.“

Natürlich müssen die Neuangekommenen erst mal Deutsch lernen.
Zum Beispiel bei Anastasiia Lepuha. Die 22-Jährige hat in der Ukraine Deutsch auf Lehramt studiert und wollte irgendwann mal Deutsch unterrichten.
Das kam jetzt viel früher als gedacht. Und dann auch noch in Deutschland selber. Wenn sie das ihren Freunden erzählt, schlagen sie die Hände über dem Kopf zusammen.
Aber Lepuha ist froh, in Haste angekommen zu sein und einen Beitrag leisten zu können:
„Meine Aufgabe ist es vor allem, die Schülerinnen und Schüler für Deutsch zu interessieren und sie zu ermutigen.
Weil Ukrainisch und Deutsch aus zwei verschiedenen Sprachlinien kommen, ist das nicht ganz einfach.
Wir spielen sehr viele Spiele, um es einfacher zu machen.“
14 Mädchen und Jungen aus der Ukraine, alle im Alter zwischen elf und 15 Jahren, lernen jetzt an der Thomas-Morus-Schule.
Vor den Sommerferien waren es noch 17 gewesen, aber einige sind auch schon wieder zurückgekehrt.
Die, die noch hier sind, haben sich mittlerweile eingelebt. Das hat ein bisschen gedauert.
Viele haben lange gehofft, bald wieder in die Heimat zurückzukehren.
Deswegen war es ihnen nicht so wichtig, schnell Deutsch zu lernen. Ines Schüer vergleicht die Situation mit den Kindern, die 2015 aus Syrien kamen. Denen sei damals viel klarer gewesen, dass sie länger in Deutschland bleiben müssten.
Deswegen haben sie sehr motiviert Deutsch gelernt. Ines Schüer erzählt aber auch, wie die Schule von den Erfahrungen 2015 jetzt profitiert:
„Wir konnten schnell reagieren.
Unser System, dass die Kinder erst mal in Regelklassen gehen, und dann ihren eigenen Deutschunterricht haben, konnten wir übernehmen.“
Anastasiia Lepuha berichtet von ersten Erfolgen: „Wenn die Kinder und Jugendlichen jetzt in den Supermarkt gehen, helfen sie ihren Eltern, die Einkäufe zu machen.“
Da half auch, dass alle ukrainische Schüler in Klassen untergebracht werden konnten, in denen Mitschüler saßen, die schon Ukrainisch oder Russisch
sprachen.
Im Unterricht mit Anastasiia Lepuha aber lernen sie nicht nur Deutsch. Sie alle haben schließlich auch Schreckliches erlebt und Dinge gesehen, die
sie noch verfolgen.
Ines Schüer zum Beispiel erzählt von einer Schülerin, die jedes Mal zusammen zuckt, wenn sie einen Rollwagen über den Flur fahren hört.
Der erinnert sie an den Güterzug, in dem sie fliehen musste. Auch darüber sprechen die Kinder mit Anastasiia Lepuha. Sie sagt: „Einige sind sehr offen und erzählen.
Andere reden nicht so gerne darüber in der Klasse, mit denen muss ich einzeln sprechen.“
Für alle ist es gut, Menschen um sich zu haben, die Ähnliches erlebt haben. Auch für Anastasiia Lepuha. Sie kennt zum Beispiel die zweite ukrainische Lehrerin an der Schule, Olesia Kopanchuk (22) zufällig noch aus dem Studium in der Ukraine.
In Osnabrück sind sie sich jetzt wieder begegnet.
Schwierige Zeiten liegen hinter ihnen. Und auch vor ihnen.
Gerne möchte Anastasiia Lepuha ihr Studium beenden und dann voll ausgebildet Deutsch unterrichten.
Ob hier oder in der Ukraine liegt nicht in ihrer Hand.
Weil niemand weiß, wann und wie dieser Krieg ausgeht.
Erst mal geht es für die junge Frau zurück in ihre Klasse. Wenn sie darüber spricht, hellt sich ihr Gesicht auf. Es gefällt ihr hier sehr gut, sagt sie. An der Thomas-Morus- Schule und in Deutschland allgemein fühlt sie sich gut aufgenommen:
„Wir werden das nie vergessen. Das ist ein sehr großes Geschenk.“ Nur eine Sache stört sie hier: Die Sommerferien sind viel zu kurz.
Nur sechs Wochen.
In der Ukraine sind es drei Monate.

VON GABRIEL KOS
im Kirchenboten Ausgabe Nummer 40 | 9. Oktober 2022