In Neumünster gibt es Spiegeleier zum Frühstück. Super!
So gestärkt fahren wir pünktlich zu Unterrichtsbeginn, 8.00 Uhr, in die Steinschule. Geparkt wird direkt vor dem Verwaltungsgebäude. Viele Lehrer:innen kommen anscheinend mit dem Fahrrad, denn wir finden erneut sofort wieder einen Parkplatz.
Mit leicht schlechtem Gewissen, dass wir den Schulablauf nun schon einen weiteren Tag stören, stellen wir zunächst der Sekretärin und dann dem Schulleiter regionale Aufmerksamkeiten aus Osnabrück auf die Schreibtische.
Nach kurzem Briefing von Lars geht es für uns in die Unterstufe zur Phase des selbstständigen Arbeitens. Gleich im ersten Raum erzählt uns „Rabauke“ (stand zumindest auf seinem schwarzen Hoodie ;-), dass es grundsätzlich um „Fabeln“ im Fach Deutsch des Projektes „Mensch und Natur“ geht. Rabauke verortet sich gerade selbstständig auf dem Kompetenzraster und erklärt seine weitere Lernentwicklung auf der selbstgestalteten Lernlandkarte. Er schneidet gerade die nächste Kompetenz aus und klebt sie an entsprechender Stelle auf die Karte. Die Kompetenz ist gelb schraffiert. Das heißt, hier muss er noch einmal ran. Er beherrscht das Erwartete noch nicht in Gänze.
Ganz in der Nähe sitzt ein erkennbar überfordertes kleines Mädchen. Wahrscheinlich gehört sie zu den Fünftklässlern, während Rabauke eindeutig älter ist. Neben der Tatsache, dass sie sich ihre Wintermütze tief über den Kopf gezogen hat, schaut sie gebannt ohne Tätigkeit auf den leeren Tisch vor sich. Hier ist wie im Normunterricht die Lehrerin gefordert. Nach Wahrnehmung der Situation setzt sie sich zu der Schülerin und fordert sie auf, ihr die letzten Logbucheinträge zu zeigen, um zu sehen, wo sie gerade im Projekt steht. Wir verlassen die Situation, um das Mädchen nicht noch zusätzlich zu verwirren.
Wir bewegen uns durch das Gebäude der Unterstufe und schauen in einzelne Lernräume. Überall das gleiche Bild, Schüler:innen arbeiten individuell.
Wir biegen ab in den naturwissenschaftlichen Trakt. Dort lernen Jugendliche der Mittelstufe zum Themenfeld „Optik, Licht und Farbe“ im Projekt „Medien“. Auch hier sehen wir direkt verschiedene Schüler:innen ihre Kompetenzen der Lernlandkarte hinzufügen. Vorne am Pult im ersten NaWi-Raum sitzt Lehrer Fabian mit einer Schülerin und erklärt ihr anhand eines biologischen Modells die Funktionsweise des menschlichen Auges.
Wagen mit Experimentiermaterialien und Arbeitsblätter liegen aus und die Schüler:innen bedienen sich je nach individuellem Stand im Kompetenzraster der Arbeitsmittel.
„Natürlich können sie hinten im Raster beginnen“, sagt Fabian, „aber ich möchte dann schon wissen, ob sie die davor zu erreichenden Kompetenzen bereits beherrschen.“
Fabian ist ohnehin unser Mann! Er fragt ziemlich schnell: „Wo kommt ihr eigentlich her?“ Und wir kommen in einen absolut gewinnbringenden Austausch. Fabian ist mindestens so interessiert an unserer Arbeit in der TMS wie wir am Konzept der Steinschule. Um es vorwegzunehmen, wir haben ihn dann einfach auch zu uns eingeladen.
Fabian und die ebenfalls dazugekommene Lehrerin Kathi erklären uns, dass die Materialvorbereitung für das selbstständige Lernen ohne Frage massiv aufwändig ist. Viel freie Zeit muss verwendet werden, um die Materialsammlungen auf Stand zu halten. Aktuell sind die Kolleg:innen der Gemeinschaftsschule angehalten, die analogen Sammlungen im Portal „It’s learning“ zu digitalisieren. Eine echte Herausforderung, zumal sie bereits vorher unter „Joomla“ einen ersten digitalen Aufschlag gewagt hatten.
Kathi stellt im Gespräch fest: „Ihr müsst doch am Regelsystem auch alles vor- und nachbereiten. Wir machen das gebündelt im Vorfeld und haben während der Unterrichtseinheit dann Zeit für unsere Lernenden und deren Umgang mit unseren Materialien. Der Zeitaufwand ist letztendlich wahrscheinlich der gleiche.“
Frau Pannenborg und ich reflektieren diesen Punkt am heutigen Tag reichlich. Wir meinen, wenn ein vorbereitendes Projektteam gut funktioniert und sich wirklich mit der Thematik auseinandersetzt, beginnt später in der Durchführung ein gewinnbringendes (entlastendes?) Zeitmanagement. Zumal an der TMS digitale Strukturen vorherrschen, die eine faszinierend passgenaue Umgebung für diese Art des Lernens bieten.
Gott sei Dank befreit uns Lars aus durchgehendem Reflektieren und Beobachten. Er schlägt vor, sich den außerschulischen Lernstandort „DRaum“ („Draußen Raum“) anzuschauen. Er lockt mit den Worten: „Kommt, das sind nur 10 Minuten Fußmarsch.“ Tatsächlich gehen wir deutlich länger, was uns jedoch total entgegenkommt. Endlich frische Luft und frische Gedanken. Lars ist der geborene Unterhalter. Wir sind nach dem Spaziergang kleine Neumünster-Kronzeugen.
Der „DRaum“ ist ein von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellter Schrebergarten. Alle Schüler:innen können dort naturnahe Erfahrungen sammeln und Unterrichtsinhalte live erleben. Momentan sieht man dem Garten den einsetzenden Winterschlaf an.
Zurück in der Schule dürfen wir einer Schüler:innvertretungssitzung beiwohnen. Hier tagt der Schüler:innenrat zu den Themen: Zuordnung von Vertreter:innen zu den Fachkonferenzen, Verwendung des Erlöses des Spendenlaufs vor den Herbstferien und Anteil der Schüler:innen an den neu entstehenden Schulregeln.
Wir stellen fest: Auch in der Steinschule müssen Schüler:innen zur demokratischen Beteiligung sanft motiviert werden.
Im Schulleitungsbesprechungsraum eröffnet uns Lars noch aktuelle schulpolitische Themen des Landes Schleswig-Holstein und wir klagen uns gegenseitig das Leid hinischtlich bürokratischer Hürden; frei nach dem Motto: „Uns in Schule fragen sie ja nicht.“
Gegen 15.00 Uhr brechen wir auf und fahren mit den beschriebenen Eindrücken zurück ins Hotel. Das Logbuch des Hospitationsprogramms will gefüllt werden und diesen Blog möchten wir unbedingt zeitnah schreiben, um unsere Erlebnisse authentisch rüberzubringen.
Lars empfiehlt uns zum Tagesabschluss einen Besuch auf dem Weihnachtsmarkt „Großflecken“ und selbstverständlich essen wir genau dort zu Abend und machen ein Foto der Weihnachtsdeko auf dem Fluss. Die Gedanken um die richtige, zeitgemäße Unterrichtsgestaltung 2022 lassen uns nicht los. Es wird Zeit, dass wir auch wieder über Alltägliches sprechen… vielleicht Donnerstag, wenn wir wieder zurück in Osnabrück sind?