Schulleiter Matthias Wocken am 4. November 2019

„Es gibt Dinge, für die es sich lohnt, eine kompromisslose Haltung einzunehmen.“, formuliert Dietrich Bonhoffer und geht für seine Haltung der Staatsmacht gegenüber in den Tod.

Oft fühlt es sich in diesen Tagen bedrückend an, Haltung einzunehmen und noch schwerer, sie klar nach außen zu zeigen. Die Reaktionen auf klare Haltungen sind zur Zeit kaum abschätzbar, unter Umständen heftig und bedrohlich. Für seine Meinung einzustehen, wird nicht einfacher in unserer Gesellschaft. Im Gegensatz zur Umwelt Bonhoeffers erleben unsere Schüler*innen neben der realen Welt auch noch die unerschöpflichen virtuellen Weiten im weltumspannenden Internet.

Da besucht uns Rabbiner Efraim Yehoud-Desel als jüdischer Lehrer unseres Schulträgers, der Schulstiftung im Bistum Osnabrück, und erzählt uns auf einer Schulvollversammlung von seiner deutschlandweit geplanten Aktion „Zusammen gegen Antisemitismus„. Wahrscheinlich geht es der überwiegenden Zahl unserer Schüler*innen wie mir: Natürlich sind wir gemeinsam gegen Antisemitismus. Nein, noch mehr: Wir sind gegen jegliche Form von Ausgrenzung und Anfeindung von Menschen. Dennoch bekommt das Ganze eine vollkommen neue Qualität, wenn wir uns den geplanten Aufkleber zur Aktion öffentlich an die Brust heften. Kann ich das HEUTE von einem Fünftklässler verlangen? Darf ich wie selbstverständlich davon ausgehen, wer sich zu den gelebten Werten unserer Schule bekennt, der zeigt öffentlich Haltung?

Ich skizziere mal zwei angenommene Situationen, die mich so nachdenklich werden lassen. Eine Gruppe von Thomas-Morus-Schüler*innen bewegt sich gemeinsam über den Nikolaiort in Osnabrück und trägt die erwähnten Aufkleber gut sichtbar an Kleidung oder Schultasche. Sie kassieren einen radikalen Spruch eines Passanten und sind aufgrund unserer intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik ziemlich schnell in der Lage, sich gemeinsam verbal zu wehren und Haltung zu zeigen.

Ein einzelner Schüler wird mit der gleichen Situation konfrontiert und steht nun in der u. U. gar nicht selbst bewusst gewählten Verantwortung, seine vermeintliche Haltung zu verteidigen – herausfordernd und leider mit Angst besetzt, weil unsere Gesellschaft in Teilen der sachlichen Auseinandersetzung mit Themen nicht mehr zugeneigt ist. Wir haben es zu tun mit Meinungen, die ohne jede Scheu öffentlich, radikal und verletzend kolportiert werden. Der Respekt vor Unvorstellbarem, die Selbstverständlichkeit von Mitmenschlichem, der Schutz der Würde des Einzelnen ist nicht mehr gewährleistet.

Also, besser keine öffentliche Haltung von Schüler*innen verlangen? Ist die Gefahr eines „Gegenangriffs“ zu groß?

Wir haben uns gemeinsam für einen Weg entschieden, den viele Schulen bereits vor uns gegangen sind: Wir möchten „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ werden. Ermutigt zu diesem Schritt hat uns der augenblicklich im Lichthof der Schule ausgestellte überdimensionale „Stolperstein-Kubus“, den spontan am letzten Tag unserer Projekttage „Das Gedenken in die Stadt tragen“ so viele Mitlglieder der Schulgemeinschaft unter der Überschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ unterschrieben haben. Die TMS steht für „Haltung zeigen“! Nur so haben unsere und die Folgegenerationen die Chance, unsere demokratische Freiheit in Deutschland zu bewahren und zu schützen.

Drücken wir uns die Daumen, dass auch einzelne Schüler*innen in drückenden Momenten den Mumm haben, Flagge zu zeigen und argumentativ fit sind, sich zu behaupten. Haltung zeigen, bedeutet an der Thomas-Morus-Schule nicht nur, seine Meinung zu vertreten, Haltung zeigen, meint im wahrsten Wortsinn auch, den Rücken gerade zu halten, um für Gerechtigkeit empfänglich zu sein. Wir wissen, wir nerven Schüler*innen mit dem Hinweis auf Haltung, aber genau das ist Grundlage für unsere gemeinsame freiheitlich würdige Zukunft.