Schulleiter Matthias Wocken am 4. Oktober 2022

In den heute-Nachrichten im ZDF um 19.00 Uhr am 3. Oktober: “Ja, uns geht es ganz gut. Aber irgendwie geht nun auch alles den Bach runter.”, sagt eine Besucherin des Erfurter Wiedervereinigungsfestes dem ZDF-Reporter sinngemäß ins Mikrofon.

Ich schüttele mich einmal kurz und lausche dem nächsten Beitrag. Doch meine Konzentration ist dahin. “Irgendwie geht alles den Bach runter…” – das hat die Dame wirklich gesagt. Ich stehe auf und gehe zum Fenster. Draußen fallen die Blätter, die Sonne bewegt sich gen Horizont. Unser Rasen ist nach den Regenfällen der letzten Tage sattgrün und vom Balkon des benachbarten Studentenheims höre ich den gutgelaunten Rap eines Bewohners. “Den Bach runter”! Ich empfinde nicht so. Ich empfinde überhaupt nicht so. Obwohl…

Im September wurde der Zwischenbericht zur Missbrauchsstudie der Universität Osnabrück hinsichtlich entsprechender Vorfälle im Bistum Osnabrück mit Blick auf die letzten Jahrzehnte veröffentlicht. Ein weiterer buckeliger Stein, nein, vollkommen zerbröselter Stein auf dem Weg eines jeden katholischen Gläubigen. Die vernichtenden Nachrichten über das Verhalten der Amtskirche reißen nicht ab. Alles, was dort zu Tage gefördert wird, ist unfassbar und lässt unmissverständlich existenziell anfragen. Wie immer versuche ich, meinen Glauben von diesen Geschehnissen zu entkoppeln. Mal gelingt es mir, mal weniger.

Der ukrainische Präsident verhöhnt den russischen. Dies nachdem dieser mit dem Einsatz atomarer Waffen gedroht hat, lässt einen erschaudern.

Die Bundesregierung gibt weitere Milliarden für militärische Unterstützung und Gaspreisdeckel aus und die Vereinten Nationen scheitern bei sämtlichen Eingaben am Veto Russlands.

Atomkraft gibt es in Deutschland nun noch ein wenig länger und den Lehrermangel in Niedersachsen soll die neue Landesregierung wohl in den Griff bekommen.

Steigen nicht auch die Coronazahlen wieder?

Wir gehen den Bach runter?

Das Erntedankfest der Thomas-Morus-Schule offenbarte eine Schulgemeinschaft, die Gott durch ein unfassbares Maß an Kreativität und Fleiß für seine Gaben dankte. Unser soziales Projekt “Der Kleine Nazareno” profitiert verlässlich von diesem Event wie in jedem Jahr. Jedes kleine Gespräch mit einzelnen Schülerinnen oder Schülern unserer Schule macht Spaß. Jede:r für sich ist ein Schatz und schaut so positiv ins Leben wie Generationen vor ihr/ihm. Zusammen sind sie manchmal anstrengend und die Erziehungsgemeinschaft der TMS ist gefordert – aber das ist seit Jahrhunderten Aufgabe sowie Herausforderung von Schule und Elternhaus.

Unser Schulträger, die Schulstiftung im Bistum Osnabrück, also keinesfalls losgelöst von Amtskirche, ist verlässlicher Garant für die sächliche und personelle Ausstattung unserer Schule – vor und auch jetzt nach der Veröffentlichung der universitären Studie. Wir sind sicher und dem Menschen zugewandt aufgestellt. Wir durften unser Schulteam zum Beginn dieses Schuljahres erneut mit Lehrkräften und Mitarbeiter:innen aufstocken, die ein Gewinn für unsere Schüerinnen und Schüler sind und menschlich zu uns passen.

Wir leben Demokratie, bilden in ihr aus und verteidigen sie in unserem kleinen Kosmos. Wir leben Vereinigung tagtäglich. Die vielen unterschiedlichen Kulturen in unserer Schulgemeinschaft, die vollkommen unterschiedlichen Begabungen und die Freude, die in unseren persönlichen Begegnungen Tag für Tag spürbar ist, sind unser Alltag.

Ich denke an meine Begegnung mit Bernardo, dem Gründer des Kleinen Nazareno. In Brasilien kämpft er Tag für Tag an der Gerechtigkeitsfront. Er erzählte, dass aktuell gar nicht mehr so viele Straßenkinder unterwegs seien. Kriminelle Kartelle sorgten dafür, dass sie in ihren Armutsvierteln unter unwirtlichen Bedingungen “zu Hause” wohnten. Die Armut wäre kaum beschreibbar. Er und seine Unterstützer:innen arbeiteten am Vertrauen der Banden und dürften dann in den Vierteln mit dem Lebensnotwenigsten helfen.

Und in Deutschland geht alles den Bach runter?

Das Feiertagswochenende habe ich gut versorgt mit Leckereien und Terminen zum Beisammensein mit lieben Menschen verbracht. Wir hatten Zeit, einen Überfluss an Genuss und waren zusammen. Was ein Geschenk mitten in Deutschland!

Am letzten Donnerstag erfüllte sich der letzte Wunsch eines lieben Verwandten in der ehemaligen DDR. Er wurde nach seinem Tod vor Warnemünde den Wellen der Ostsee übergeben. Das Schiff durfte ohne Grenzzwang und irgendeine Sondergenehmigung aufs Meer fahren.

Danke an die Mütter und Väter der Wiedervereinigung, danke an den damaligen russischen Präsidenten und danke an alle Verantwortlichen der heutigen Zeit, die sich dieses Erbes bewusst sind. Ich glaube fest daran, dass alle sehr bemüht sind, dass wir den Bach hochschwimmen.

Was wir dazu in Klein Haste beitragen können, machen wir.

Und wenn am Wochenende klar wird, dass Schüler:innen einer Klasse ausgrenzen, Bildrechte verletzen und für Angst bei ihren Mitschüler:innen sorgen, muss auch mal ein Samstag zur Klärung des Sachverhalts herhalten, weil uns unsere Gemeinschaft das Wichtigste und nicht eine bloße Worthülse ist.