Liebe sommerliche Leserinnen und Leser der Kolumne!

„Die Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ (Max Frisch)

Die Katastrophe ist ausgeblieben – an der Thomas-Morus-Schule ohnehin. Bleibend ist das Gefühl, in einer starken Gemeinschaft gut durch die erste Zeit mit COVID-19 gegangen zu sein. Seit Mitte März 2020 haben wir gemeinsam eine unwirtliche, bisher nie da gewesene, dem Alltag entrückte Zeit zum Ende eines zunächst sehr intensiven Schuljahrs durchlebt.

Wer diese Worte in den kommenden Jahren im Rückblick liest, muss wissen, dass alle Schulen im Jahr 2020 zum 16. März geschlossen wurden. Sämtliches Unterrichtsgeschehen wurde hinsichtlich der Präsenz von Schüler- und Lehrer*innen im Gebäude auf null gefahren. Alle Schulveranstaltungen wurden abgesagt und Termine von sonst selbstverständlichen Konferenzen oder anderen Gremien fanden von jetzt auf gleich nicht mehr statt. Schule wurde ‚neu erfunden‘. Das ‚Lernen zu Hause‘ – ‚Homeschooling‘ wurde zum Alltag. Erst Stück für Stück rückten Schüler*innen und Lehrpersonal wieder ‚umschichtig‘ ins Gebäude ein – alles unter strengen Hygieneregeln, die die Ausbreitung des pandemischen Covid-19 Virus verhindern sollten. Plötzlich begegnete man sich per Videoschalte und Online-Konferenz. Schüler*innen hielten Klassenlehrer*innenstunden per Webcam und Mikrofon ab. Eltern erreichten die Lehrer*innen nur noch über das Telefon oder per Email. Nichts war mehr so, wie es bis zum März 2020 war.

Ich schrieb in den ersten Wochen täglich eine kleine Kolumne mit dem Titel „Leere Schule“ an dieser Stelle; Eindrücke meines schulischen Alltags, der keineswegs zuhause, sondern nach wie vor an meinem schulischen Schreibtisch stattfand. Gemeinsam mit meinen drei Schulleitungsmitgliedern und dem Verwaltungsteam der Schule bildeten wir eine „kleine Familie“. Wir begegneten uns auf Abstand und ‚steuerten die Schule fern‘. Die anfängliche Beklemmung wich aber zunehmend dem Gefühl, dass „Krise ein produktiver Zustand“ sein kann. Plötzlich hatte unsere im November 2019 erfolgte Zertifizierung als „Digitaler Ort in Niedersachsen“ nicht mehr nur theoretische Züge. Die digitalen Werkzeuge wurden gebraucht. Mehr noch, sie waren wesentlich in der Vermittlung von Wissen und dem Zusammenbringen von Menschen.

„In der Krise beweist sich Charakter.“ (Helmut Schmidt)

Die TMS hatte schon vor CORONA Charakter, aber nun noch einmal mehr. Menschen, die in Krisen zusammenstehen und sich umeinander kümmern, erschüttert im hoffentlich irgendwann wieder ‚normalen‘ Leben noch weniger. Sie entwickeln eine unsichtbare Kraft, ein verbindendes Band, das wie ein Leitfaden das Bewegen in die richtige Richtung erleichtert.

Schon in der Vorbereitung der Jurybegehung zur mittlerweile erfolgten Auszeichnung als „MINT Schule Niedersachsen“ hatte das Lehrer*innenteam aus den Fachbereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik bemerkt, welchen vorteilhaften Mehrwert uns eine digitale Kommunikationsplattform bietet. Aber Stand heute nehmen wir wahr: Die zeiteffizienten Vorteile digitaler Kommunikation müssen wir unbedingt mit in die Nach-Corona-Zeit retten. Digitalisierung kann zeitliche und räumliche Freiräume schaffen. Sie ermöglicht fruchtbringende Kollaboration und bietet Gestaltungsvielfalt, die Wissensvermittlung noch spannender machen kann.

Auf dem Weg zur „Umweltschule in Europa“ ist die frische Erfahrung, dass wir nicht von einem Termin zum anderen hetzen müssen, dass leere Straßen und Flughäfen der gesamten Natur Luft zum Atmen geben, dass sich Abfall durch einen Konsumstopp von jetzt auf gleich enorm reduzieren lässt und dass sich die Erde sehr wohl weiterdreht, wenn wir alle ‚den Fuß vom Gas nehmen‘ eine zentrale. Hoffentlich retten wir viel von dem, was das Leben sauberer und insgesamt lebenswerter macht in die ‚Nach-Corona-Zeit‘.

Die Werte, die sich in der Auszeichnung „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausdrücken, haben auch in der aktuellen Situation eine klare Bedeutung, wenn es darum geht, sich mit Verschwörungstheoretikern und Leugnern der weltweiten Ansteckungsgefahr auseinanderzusetzen. Unsere Schüler*innen bedürfen, wie selten zuvor, eines Wertekanons, der sie in einer beziehungsarmen Zeit, die in großen Teilen online erlebt wird, vor der Bedrohung ihres Innersten schützt. Die Thomas-Morus-Schule setzt auf Gemeinschaft, auf ein Miteinander ohne Ausgrenzung und Offenheit im Umgang. Unser gemeinsames „Putzen der Stolpersteine“ in Osnabrück im vergangenen Herbst bot eine Auseinandersetzung mit den schlimmsten Auswirkungen von Ausgrenzung, die man sich vorstellen kann für alle Mitglieder der Schulgemeinschaft. Alle sind sich einig, das darf nie wieder irgendwo auf der Welt geschehen.

Als Dunning-Kruger-Effekt wird populärwissenschaftlich die systematische fehlerhafte Neigung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen bezeichnet, das eigene Wissen und Können zu überschätzen. Diese Neigung beruht laut der beiden Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger auf der Unfähigkeit, sich selbst mittels Metakognition objektiv zu beurteilen.

„Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, sind genau jene Fähigkeiten, die man braucht, um eine Lösung als richtig zu erkennen.“

 Jeder einzelne Lernmoment in Schule muss genutzt werden, um inkompetente Menschen in unserer Gesellschaft zu einer verschwindenden Minderheit werden zu lassen. Kompetenzen sind vielfältig und fußen bei Weitem nicht nur auf schulischem Wissenserwerb. Dennoch dient Schule originär exakt dazu, am Ende seiner Schulzeit kompetent genug zu sein, um seine eigenen Fähigkeiten in den unterschiedlichsten Bereichen einschätzen und ggf. nachsteuern zu können.

Wir sind gut unterwegs, wenn unsere Schule zu den Produzenten von ‚Richtigeinschätzer*innen‘ und ‚Vogelperspektivblicker*innen‘ gehört. Bildung, ob online oder in Präsenz, ist dabei ein wichtiger Schlüssel zum Glück. Mal sehen, auf welchem Weg wir 2020/21 unsere Arbeit fortsetzen dürfen.

Ich wünsche allen Leser*innen Gesundheit und wenig Begegnungen mit „Dunning-Kruger-Effekten“ sowie einen fantastischen Sommer 2020!

„Von den Chinesen könnten wir einiges lernen. Man hat mir gesagt, sie hätten ein und dasselbe Schriftzeichen für die Krise und für die Chance.“ (Richard von Weizsäcker)