Stellvertretende Schulleiterin Katrin Pannenborg und Schulleiter Matthias Wocken am 20. April 2023

Berlin EINerlei

Sven Meth – wir haben echt Glück!

Aber der Reihe nach 🙂

Nachts um 3.00 Uhr geht es in Osnabrück los gen Berlin. Wir wollen pünktlich in Berlin-Mitte die Evangelische Schule Berlin Zentrum besuchen. Und damit uns weder Klimagegner noch Warnstreiks einen Strich durch die Rechnung machen, fahren wir rechtzeitig. Klappt, es bleibt Zeit für einen schönen Kaffee in einer Seitenstraße der Schule.

Wir betreten den Schulhof durch den Eingang von der Wallstraße. Ein unscheinbares Schild an der Schulwand sagt, dass wir richtig sind. Vor dem Gebäude A schiebt ein netter Herr einen Verkaufsstand vor die Eingangstür. “Wo möchten Sie denn hin?”, fragt er freundlich. Es stellt sich heraus, dass uns der Hausmeister persönlich den Weg zum Sekretariat im Gebäude B weist. Auf dem Weg erkennen wir den Holzanbau wieder, der im Buch “Wie wir Schule machen” beschrieben wird.

Die Evangelische Schule ist bei ihrer Gründung in die Gebäude einer alten DDR-Schule eingezogen. Der ursprüngliche Charakter ist bis heute sehr gut erkennbar. Alle Treppenstufen sind original abgelaufen und Türen wie Fenster (Holz) sind in die Jahre gekommen. Die Elterninitiative war bei Schulgründung froh, überhaupt ein so zentral gelegenes Schulhaus zu finden. Bis heute renovieren sie fleißig in Eigenleistung.

Im Sekretariat teilt uns eine Dame mit, dass unser Ansprechpartner, besagter Lehrer Sven, seine Hospitationsgäste immer im Foyer abholt. Also warten wir genau dort und pünktlich um 10 Uhr fragt uns ein ins Gebäude kommender Mann: “Wie geht es euch?”.

Sven Meth ist seit 10 Jahren an der ESBZ. Er atmet deren Schulgeist und denkt Schule im Sinne der ihm anvertrauten Schülerinnen und Schüler. Von der Schulleitung bekommt er zwei Anrechnungsstunden, um Hospitationsgäste über die Idee der Reformschule aufzuklären. Und das kann er! Wir sitzen direkt bei einem Kaffee in der Cafeteria zusammen und Sven fragt: “Wie weit seid ihr in der Schulentwicklung und warum besucht ihr uns? Was genau wollt ihr sehen?”

“Wie gestaltet ihr Unterricht? Wie motiviert und erreicht ihr Schüler:innen? Was macht ihr anders und warum denkt ihr, dass eure Idee von Schule für Schüler:innen von heute richtig ist?”, sprudelt es aus uns beiden heraus. Und wir beschreiben, dass sich an unserer Schule ein ganz waches, fleißiges, zugewandtes Team aufgemacht hat, Wissensvermittlung neu zu denken. Sven fragt interessiert nach und wir kommen in einen richtig guten Austausch.

Die Ausführungen des Lehrers hier wiederzugeben, sprengt den Rahmen. Wir empfehlen zum Verständnis hier zu gucken. Wir verraten schon mal an dieser Stelle, dass auf der Homepage kein Blabla steht, sondern die ESBZ genau das Beschriebene lebt.

Sven lädt uns in seinen “Unterricht” ein. Um 10.20 Uhr startet sein “Lernatelier” (Lernbüro). Er geht in “seinen” Klassenraum (mit Schüler:innen und Eltern selbst gestaltet). Herr Meth ist für Lernfragen ansprechbar. Nach und nach betreten verschiedene Jugendliche den Raum. Wir sind für sie gar nicht existent. Auch Sven ist nicht unbedingt erster Ansprechpartner. Sie beschäftigen sich selbstständig.

Für uns beide ist die Freiheit im Raum schwer auszuhalten. Es beginnen nicht alle Schüler:innen zu arbeiten. Einer legt die Füße hoch und zieht sich seine Kappe tiefer ins Gesicht. Eine Schülerinnengruppe kümmert sich ausschließlich um einen Erste Hilfe Rucksack – von “normalen Unterrichtsinhalten” wenig Spuren.

Sven erklärt uns, dass alle Schüler:innen durch die Einführung zu Beginn des Schuljahres in die Themengebiete der einzelnen Fächer über ihre Aufgaben Bescheid wissen. “Sie haben alle genug zu tun, verlasst euch drauf.”

An dieser Schule spielt Vertrauen eine entscheidende Rolle. Mimik und Gestik zeigen wie ernst die Lehrer:innen ihr Vertrauen zu den Schüler:innen nehmen. In der Bibliothek nehmen wir zwei Schüler wahr, die sich zurückgezogen haben, um auf gemütlichen Sitzsäcken zu schlafen. “Die brauchen das vielleicht jetzt gerade.”, sagt Sven unaufgeregt. Gestern schrieben die Schüler:innen des 10. Jahrgangs die zentralen Abschlussprüfungen in Deutsch. “Logisch sind die heute ganz schön kaputt.”, beschreibt Sven.

Es geht im Konzept der Schule nur gesetzes-gezwungenermaßen um die Pflichtinhalte der Curricula (Lernen, Wissen zu erwerben). Eigentlich geht es um die Umsetzung drei wesentlicherer Säulen der schulischen Idee in Berlin Mitte:

  • Lernen, zusammen zu leben
  • Lernen, zu handeln
  • Lernen, zu sein

Sven beschreibt jeden Punkt noch wesentlich schüler:innennäher und mit Herzblut. Er ist dabei absolut authentisch und spürbar berührt.

Projekte wie “Herausforderung”, “Alle im Ausland”, “Verantwortung”, “Pulsare”, “Praxisband”, “Lernexpedition”, … sind die Momente, die Schüler:innen behalten. Das sind die Lebenserfahrungen, die sie weiterbringen. Das ist das, was sie aufs Erwachsenenleben vorbereitet. Zensuren gibt die ESBZ nur, weil es das Gesetz vorgibt und sowieso erst ab dem zweiten Schulhalbjahr der Klasse 9.

Die Schwerpunkte der Schüler:innen liegen nicht auf den Noten. Sie liegen auf den zu erlangenden Zertifikaten nach den einzelnen Projekten. Betriebe schätzen die Aussagen dieser Texte deutlich mehr als Zensuren. Sie lernen die Schüler:innen bereits in ihrer Bewerbung schriftlich aussagekräftig kennen.

Die Abiturient:innen schreiben sich ein eigenes Zeugnis (neben dem natürlich vorhandenen Pflichtzeugnis der Schule). Sven beschreibt, wie ehrlich und kompetent sie in ihrer Selbsteinschätzung sind, weil die Selbstreflexion über all die Schuljahre steter Bestandteil des “Unterrichts” war. “Wir nerven die Schüler:innen mit unseren dauernden Reflexionen ganz schön. Aber das macht es aus.”, beschreibt Sven.

Mehr will doch jetzt niemand lesen, oder? Wir sind begeistert von diesem ehrlichen Blick unseres Gastgebers auf seine Schule. Auch Probleme (z. B. die Handyproblematik) verschweigt Herr Meth keinesfalls. Wir tauschen uns über Finanzierung und Fortbestand der Schule aus – keineswegs ein Selbstläufer.

“Und nun sprecht ihr Schüler:innen an!” Machen wir. Zwei Mädchen stellen sich ohne Zögern unseren Fragen. Und? Sie beschreiben uns aus ihrer Sicht EXAKT das, was uns Sven zuvor erzählt hat. Absolut faszinierende Zehntklässlerinnen, die einen Plan von ihrem selbstorganisierten Lernen – in welcher Form auch immer – haben.

“Und das Schönste ist, wenn wir die Schüler:innen im Versammlungsraum mit einer irischen Segenshymne auf den Weg der Herausforderung oder für drei Monate ins Ausland schicken. Da haben wir alle Gänsehaut, wenn die Lehrer:innen für ihre Schüler:innen singen.”

Sven, DANKE! Wir nehmen sehr viel von eurer Schulidee mit.

Berlin ZWEIerlei

Uiuiui, spät geworden. Wir haben tatsächlich durchgehend bis in den Abend mit Schulentwicklungsbetrachtung verbracht.

Also genau sind wir auf dem Perspektivtreffen des Deutschen Schulpreises auf Einladung der Robert Bosch Stiftung, weil wir am Hospitationsprogramm des Schulpreises teilgenommen haben. Ein dichtes Programm mit Input- und Arbeitsphasen liegt für heute hinter uns. Es ging schon ans Eingemachte. Was haben wir aus der Hospitation an der Schulpreisträgerschule in Neumünster (vgl. unseren Blog aus November 2022) als bereichernd für unsere Schulentwicklung mitgenommen und welche Baustelle wollen wir an der TMS als nächstes angehen. Intensives Nachdenken, viel Diskussion und das Fokussieren auf unsere Bedingungen in Osnabrück waren anstrengend. Morgen geht es dann mit heute erarbeiteten Themen in ein “Barcamp”. Die Methode verspricht, viele Themen von unterschiedlichsten Akteuren gut zu durchdringen.

Das Perspektivtreffen findet im Bildungszentrum Erkner (ein richtig großes Bildungshaus und eins der modernsten Deutschlands) nahe Berlin-Köpenick statt. Es fiel uns nicht leicht die Eindrücke von gestern (ESZB) nicht direkt mit einfließen zu lassen.

Unser offizielles Seminargeschehen war die eine Seite des heutigen Tages. Die andere, deutlich faszinierende war jedoch das Netzwerken mit den anderen teilnehmenden Schulvertreter:innen. Wir haben Telefonnummern und Adressen ausgetauscht, weil viele der hier anwesenden Schulen schon sehr zukunftsorientiert unterwegs sind. Tolle Lehrer:innen und Schulleitungen!

Zukunftsorientiert heißt: jahrgangsübergreifendes Lernen, Projektunterricht, Auflösung von Klassenstrukturen, Auflösung von Stundenplänen, Arbeit in Lernateliers, Wunschzeit, Fokussieren auf Haltung und Selbstverantwortung, …

Und, das muss jetzt einfach mal raus: Ganz viele Inhalte des heutigen Tages treiben unsere Schule gar nicht um. Wir sind ein Team, das offen und bereit ist, sich auf den Weg zu machen. Wir haben ein Team, dem Haltung und Beziehung zu unseren Schüler:innen wichtig sind. Wir haben ein klares Schulleitbild, ein in unserem Wiki verschriftlichtes Schulprogramm sowie eine Charta, die wir leben. Das ist nach dem Erleben des heutigen Treffens nicht zwingend selbstverständlich. Wir haben uns oft dankbar angeschaut.

Fakt ist, dass die Ergebnisse unserer @tms-Treffen und das Erleben von überaus erfolgreich arbeitenden Reformschulen eine Neukonzeptionierung von Unterricht an unserer Schule anschieben sollten. Wir sind nicht zufrieden mit der Lernmotivation unserer Schüler:innen, wir vermissen ihre Neugier und Lernlust. Ergo, wir wünschen uns motivierte, interessierte und neugierige Schüler:innen, die eigenverantwortlich, selbstbewusst und sich ihrem Sein und dem ihrer Mitmenschen bewusst, lernend auf das Leben einlassen.

Stefan Niemann von der Agentur “SICHT.weise” ist bereit, uns kennenzulernen und im Nachgang bei diesem Reformprozess zu begleiten. Er kommt im Juni in unsere Schule und sieht uns neugierig zu, wie wir Schule machen. Vielleicht erzeugen wir mit ihm gemeinsam die ersten Schritte in die neue Lern- und Lehrzukunft der TMS.

Wir gehen nun, nachdem wir noch einen klitzekleinen Absacker in der “Bildungslücke” (hausinterne Lokalität) genommen haben, eine Runde träumen in echt gemütlichen Betten und schauen, was das Barcamp morgen noch an Erkenntnissen bringt. Gute Nacht!

Es ist Samstag und wir befinden uns in der letzten Arbeitsphase des Barcamps. “Überlegen Sie sich, was Sie dem/der ersten Kollegen/in am Montagmorgen berichten – Sie können dabei alles richtig oder auch alles falsch machen…” Schweiß auf der Stirn 😉

Also ich treffe zunächst Bärbel Schmutte, dann Gaby Schiffbänker, im Anschluss ihren Mann und danach Gabriele Paula Börger oder Felix Trentmann. Ich überlege mir gar nichts, sondern erzähle frisch von der Leber weg.

Frau Pannenborg hat Schwimmunterricht mit dem Kollegen Johannes Rensing und freut sich regelrecht, dem OSIA-Teilnehmer (Osnabrücker Schulen im Aufbruch) von unserer Berlinreise zu berichten.

Wir machen uns definitiv keine Sorgen, in der TMS von den hier erarbeiteten und gehörten Schulentwicklungsideen zu erzählen – im Gegenteil!

Jeder von uns besuchte heute Morgen drei Sessions (Barcamp-Jargon). Frau Pannenborg war thematisch wie folgt unterwegs: “Einführung von Herausforderung und Projektunterricht”, “Arbeit an Basiskompetenzen” und “Lernentwicklung sichtbar machen”. Ich bewegte mich bei “Vom Digitalen zum Analogen”, “Jahrgangsübergreifender Unterricht – Auflösung von Klassenverbänden”, “Partizipative Schulentwicklung”.

Viel Input und sehr spannend zu beobachten, wie viele Schulen sich trauen, traditionelle Ideen aufzugeben. Nicht wenige der anwesenden Schulvertreter:innen wollen sich für den Schulpreis bewerben und schärfen im Grunde nur noch ihre Entwicklungsschritte.

Wir betrachten den Schulpreis eher als faszinierenden Ideenpool aus dem wir schöpfen dürfen, merken jedoch sehr deutlich an welchen Stellen die TMS sehr wohl innovativ unterwegs ist.

Die Motivation im eigenen Schulsystem aktiv zu werden, ziehen alle Schulen aus der Wahrnehmung des aktuellen (Nicht)Lernens der Schüler:innen. Aber nicht als Vorwurf an die Kinder, sondern als vielmehr die Erkenntnis, dass langjährig gültige Methoden unserer Schulen den Herausforderungen unserer Zeit nicht gerecht werden.

Das Ziel aller Erwachsenen, Lehrer:innen wie Eltern, ist doch, die uns anvertrauten Kinder zu starken Mitmenschen heranwachsen zu sehen. Wir wollen sie doch bestmöglich mit den nötigen Kompetenzen zur Bewältigung der Anforderungen im 21. Jahrhundert ausstatten. Unsere Schüler:innen brauchen die Fähigkeit der ehrlichen Selbstreflexion (Meta-Learning): Was weiß ich, wie benutze ich mein Wissen, wie agiere und verhalte ich mich in unserer Welt?

Das Lernen muss eine Bedeutung für jede:n Schüler:in bekommen. Neugierde und das Erkennen der Notwendigkeit des Lernens (Selbstwirksamkeit) sind unsere Ziele. Und diese Erkenntnisse sind nicht mehr beliebig oder diskutabel, sie sind Fakt. Das wird hier in Erkner sehr deutlich und durchgehend durch wissenschaftliche Begleitung belegt.

Ab nach Hause, wir freuen uns auf Osnabrück. Tatsächlich klappt die Rückfahrt ohne Stau und wir sind am Abend daheim.